Lioba Reckfort Autorin, Regisseurin und Theaterpädagogin

Mietskaserne Wedding

Eine theatrale Dokufiktion von Lioba Reckfort.

 
Ein Seitenflügel einer Mietskaserne steht leer. Mitten im Wedding. Was liegt da näher als ihn mit Geschichten zu füllen, die dort hätten spielen können. Die Theatergruppe der KiezErzähler nahm die Herausforderung an und entwickelte im Gemeinschaftsprozess unter der Leitung von Lioba Reckfort das Theaterstück MIETSKASERNE WEDDING. In drei Akten wird eine Zeitreise durch das Leben des Weddinger Seitenflügels unternommen: BLUTMAI `29 , PUDDING `68 und PUNK `83.
 
 
1. Akt: BLUTMAI `29
 
"Der rote Wedding" heißt es im Volksmund. Das liegt nicht nur an der Geschichte des ehe-maligen Arbeiterbezirks: der sich hier niederge-lassenen Großindustrie AEG und Schering, dem rasanten Aufbau von Mietskasernen für die Arbeiter um 1900 und der politischen Haltung seiner Stadtteilbewohn-er. Das Arbeiterlied Roter Wedding brannte den Begriff in die Köpfe ein. "Roter Wedding! Grüßt euch, Genossen! Haltet die Fäuste bereit!" tönte es nach den blutigen Straßenschlachten der verbotenen Maidemonstration 1929, die als Blutmai in die Geschichte eingegangen ist. Die Polizei ging mit Gewalt gegen die demonstrierenden Arbeiter vor. Erich Weinert  schrieb kurz nach den Ereignissen das Arbeiterlied für die Agitproptheatergruppe Roter Wedding. Mit diesem Lied eröffneten sie ihre Aufführung, die in Hinterhöfen und auf Demonstrationen stattfanden. Hanns Eisler komponierte die Musik. Das Lied wurde bald international bekannt, so dass auch im Ausland vom roten Wedding gesprochen wurde. 
 
Vor diesem historischen Hintergrund machen sich im 1. Akt des Theaterstücks ein Arbeiter und ein Schutzpolizist, auch Schupo genannt, zeitgleich auf den Weg zur Demonstration. Ein Zeitungsjunge ruft laut: „Kampfmai 1929. Kommunisten auf dem Vormarsch. Schulter an Schulter demonstrieren Frauen mit ihren werktätigen Männern. Trotz Demonstrationsverbot! Lest selbst.“  bevor er den Schupo beklaut und sich in die Tochter des Arbeiters verliebt. Ein vielversprechender Tag! 
 
 
2. Akt: PUDDING `68
 
Ein lauer Sommerabend 1968. 
Ort des Geschehens: Einzimmerwohnung im Wedding 
Hauptmieterin: Frau Schulze 
Untermieter: Engagierter Student
Wichtigste Requisite: Frau Schulzes Pudding. 
 
Schon mit einem Pudding hat Frau Schulze ihren Mann, der im zweiten Weltkrieg fiel, umgarnt und ihn für sich gewinnen können. Höchst aufgeregt wartet sie nun auf ihren neuen Verehrer. Der Pudding dampft schon auf dem Tisch, als unerwarteter Besuch hereinspaziert und die Dinge ihren Lauf nehmen. Pudding spielte nicht nur in dem Theaterstück bei Frau Schulze eine große Rolle. Das leckere Süß gemischt mit Joghurt und Mehl wollten die Bewohner der Kommune 1 -  eine Wohngemeinschaft, die aus politisch engagierten Studenten der 68er - Bewegung bestand - als erste subversive Aktion auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey werfen. Hubert Humphrey war bekannter  Befürworter des Vietnamkrieges und besuchte 1967 Berlin. Doch zum "Pudding-Attentat" kam es nie. Die "Bombenleger" wurden einen Tag zuvor von der Polizei festgenommen. 
 
 
3. Akt: PUNK `83
 
Die frühen achtziger Jahre: Ein Haus nach dem anderen wird in Berlin besetzt. Die Mieten sind zu hoch. Es gibt massenweise Leerstand, doch die Mietskasernen sollen abgerissen werden, um modernen Großsiedlungen Platz zu machen. Hierfür müssen jedoch erst einmal alle Wohnungen der jeweiligen Häuser „entmietet“ werden. Die leerstehenden Wohnungen werden nicht wieder neu vermietet, obwohl besonders viele jüngere Menschen dringend nach preiswertem Wohnraum suchen. Innerhalb kürzester Zeit zählt Berlin schon zur Hochburg der Hausbesetzerszene in Deutschland. Den Hausbesetzern geht es auch bald nicht mehr nur um günstigen Wohnungsraum. Durch die massive Aggression seitens der Staatsgewalt politisiert sich die Szene und sie suchen nach alternativen Lebensmodellen.
1983 lassen sich immer mehr besetzte Häuser auf die Verhandlungen einer Instandbesetzung mit dem Senat ein. Zuvor spalten sich die Besetzer in zwei Lager: Die einen wollen ihr neues Wohn- und Lebensverhältnis sichern, während die anderen den Besetzerstatus und ihre damit verbundenen politischen Ziele nicht aufgeben wollten.
 
Der dritte Akt des Theaterstücks  Punk `83 spielt in einem besetzten Haus. Laute Punkmusik, verschlafene Gesichter auf dem Besetzerplenum und Sonnenblumen gegen Atomenergie - ein typischer Morgen beginnt.  "Eins, zwei, drei - lasst die Leute frei!" lautet das Motto der Soliparty, die am Abend im Hof stattfinden soll. Viele Hausbesetzer sitzen im Knast und dagegen muss man sich organisieren. Zumindest darüber sind sich am Morgen noch alle einig. 
 
Blutmai `29
 
Herrmann (Arbeitervater ): Reinmar Schott
Adele (Mutter): Karolin Anders
Marta (Ältere Tochter): Daniela Lachmund
Trude (Jüngere Tochter ): Helin Aslan
Max (Sohn): Raimi Niederhausen
Filz (Zeitungsjunge): Oguzhan Engin
Schupo: Bäumchen
 
Pudding `68
 
Frau Schulze (Hauptmieterin): Elisabeth Terry
Jakob (Verehrer): Borys Ponew
Detlev Gruber (Student): Fabian Wörner
Dagmar Vogt (Studentin): Tania Broschei 
Frau Müller (Nachbarin): Marina Hübner
Annemarie(Freundin v. Schulze): Sonja Niederhausen
 
Punk `83
 
Punkband: Rotze Reinmar Schott
Kotze: Bäumchen
Fotze: Daniela Lachmund
Frau Schröder (Hausbesitzerin): Tania Broschei
Ma-Jo: Borys Ponew
Lucky: Ingo Stübing
Lotte: Karolin Anders
Sunny: Sonja Niederhausen
Babette: Elisabeth Terry
 
Stückentwicklung und Regie: Lioba Reckfort
Technik: Fabian Wörner
 
Ich möchte mich herzlich bei Herrn Heidenreich bedanken, dass er uns seinen Seitenflügel zur Verfügung gestellt hat und uns immer unterstützend geholfen hat. Den Hausbewohnern gilt mein Dank für ihre Gelassenheit. Außerdem möchte ich mich ganz besonders bei allen Darstellern bedanken, die es mit ihren vielen Ideen und ihrem Engagement ermöglicht haben, dieses Stück auf die Beine zu stellen.  
 
 

Kritiken in der Programmzeitschrift Zitty:

http://service.zitty.de/kultur-buehne/22055/

http://service.zitty.de/kultur-buehne/31105/

 

Mietskaserne Wedding online:

Teil 1: Blutmai '29 [?]

Teil 2: Pudding'68 [?] 

Teil 3: Punk '83 [?]